Literaturnobelpreis 1953: Winston Spencer Churchill

Literaturnobelpreis 1953: Winston Spencer Churchill
Literaturnobelpreis 1953: Winston Spencer Churchill
 
Der britische Politiker und Schriftsteller erhielt den Literaturnobelpreis für sein historisch-biografisches Werk und seine Reden.
 
 
Sir (seit 1953) Winston Leonard Spencer Churchill, * Blenheim Palace 30. 11. 1874, ✝ London 24. 1. 1965; zunächst Offizier, 1908-10 britischer Handels- und 1910/11 Innenminister, 1911 erster Lord der Admiralität, 1918-21 Kriegs- und Luftfahrtminister, 1924-29 Schatzkanzler, 1940-45 und 1951-55 Premierminister; wurde im Zweiten Weltkrieg zum Symbol des Durchhaltewillens seiner Nation.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
George Bernard Shaw (Nobelpreis 1925) hat über Churchills Karriere gesagt: »Seine eigentliche Laufbahn hatte er als Soldat — und als Schriftsteller.« Das ist durchaus richtig, auch wenn es zunächst überrascht — ist Churchill doch vor allem als großer Staatsmann, als britischer Premierminister des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung. Von Haus aus war er jedoch Offizier, und neben seiner politischen hatte er eine erfolgreiche schriftstellerische Karriere, er war — neben Shaw — der wohl bestbezahlte Autor seiner Zeit.
 
Nach freudloser Schulzeit und erfolgreicher Ausbildung zum Kavallerieoffizier war Churchill zunächst als Soldat und Kriegsberichterstatter in den britischen Kolonien aktiv, bevor er 1900 ins Unterhaus gewählt wurde. Seine politische Karriere verlief wechselhaft. In einer ersten Phase bekleidete er zwischen 1905 und 1929 wiederholt hohe Staatsämter. Unter anderem war er 1911-15 Befehlshaber der Flotte. Zwischen 1924 und 1929 hatte er das Amt des Schatzkanzlers inne. Danach schien seine Karriere beendet. Erst der Beginn des Zweiten Weltkriegs führte ihn, der zuvor lange ein energisches Eingreifen gegen Hitler gefordert hatte, 1939 wieder in das Flotten- und im Mai 1940 in das Premierministeramt.
 
 Churchills historische Bedeutung
 
In der kritischsten Situation des Kriegs, angesichts der Niederlage Frankreichs, traf er seinen historisch bedeutsamsten Entschluss: kein Friede mit Hitler, sondern kompromissloser Kampf bis zum Sieg. Diese Entscheidung erwuchs nicht nur aus der Notwendigkeit des Augenblicks, sondern entsprach auch im Tiefsten seiner soldatisch geprägten Denkweise. Nach dem Sieg wurde der Soldat nicht mehr gebraucht: Im Juli 1945 wurde Churchill (vorerst) abgewählt.
 
Seine schriftstellerische Karriere war eng mit der politischen verwoben, denn er verfasste vor allem bedeutende Darstellungen der Zeitgeschichte, die er selbst mitgeprägt hatte. Die ersten Arbeiten behandeln Kolonialkriege, die Churchill selbst miterlebte: Grenzkriege in Indien (»The Story of the Malakand Field Force«, 1898), die Eroberung des Sudan durch Lord Kitchener (»The River War«, 1899) und den Burenkrieg in Südafrika (»London to Ladysmith Via Pretoria«, 1900).
 
 Churchill als Historiker
 
Bedeutender sind seine umfangreichen Werke »Weltkrisis« (5 Bände, 1923-31) über den Ersten Weltkrieg und »Der Zweite Weltkrieg« (6 Bände, 1948-53). Letzteres beginnt mit der Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs seit 1919, sodass Churchill insgesamt eine durchgängige Darstellung der Jahre 1914-45 bietet. Beide Werke, besonders »Der Zweite Weltkrieg«, zitieren ausführlich wichtige Dokumente, die Churchill natürlich aus erster Hand zur Verfügung standen. So sind sie eine ergiebige Quelle für die politische und militärische Geschichte der Epoche. Infolge seines ausgeprägten Willens zur Selbstdarstellung haben sie aber auch autobiografischen Charakter.
 
Churchills Geschichtsschreibung betont das Dramatische: Innerhalb eines groß angelegten Handlungsbogens nimmt jede Einzelsituation den Charakter einer Grundsatzentscheidung an. So steigert Churchill natürlich auch die eigene Bedeutung. Er steht amit in der historiografischen Tradition des 19. Jahrhunderts, die die Ereignisse aus der Perspektive und in den Kategorien der »großen Männer« darstellt und sich damit auf die Politik beschränkt. Churchills Maßstäbe bleiben der historischen Großmachtpolitik Großbritanniens verhaftet. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen spielen fast keine Rolle. Er war insofern — anders als Theodor Mommsen, der andere Historiker unter den Preisträgern (1902) — nicht wegweisend für eine moderne Historiografie, sondern stand am Ende einer Tradition.
 
Auch seine beiden Biografien sind von diesem Geschichtsverständnis geprägt: »Marlborough« (4 Bände, 1933-38) erzählt die Lebensgeschichte des bedeutendsten Vorfahren John Churchill (1650-1722), der aufgrund seiner außerordentlichen Verdienste im Kampf gegen Ludwig XIV. erster Herzog von Marlborough wurde. »Lord Randolph Churchill« (2 Bände, 1906) ist die Biografie seines Vaters, der nach einer kurzen, steilen Karriere, die ihn bis in das Amt des Schatzkanzlers führte, aus der Politik ausschied.
 
Alle Schriften weisen Churchill als großen Stilisten aus. Er verfügt über eine bildhafte Sprache, deren Metaphern und Vergleiche oft dem Bereich des Militärischen entnommen sind: Ein Buch zu konzipieren ist für ihn »nicht unähnlich dem Planen einer Schlacht«. Bemerkenswert ist auch sein Sinn für Humor und (Selbst-)Ironie, was neben der ausgeprägten Selbstbezogenheit eine große Fähigkeit zur Selbstdistanz beweist.
 
 Churchill als Redner
 
Das historisch-biografische Werk allein hätte, wie ein Gutachten hervorhob, eine Zuerkennung des Nobelpreises nicht gerechtfertigt, wohl aber die zusätzliche Berücksichtigung seiner »glänzenden Redekunst«, mit der Churchill sich laut Preisbegründung »für die Verteidigung unserer Zivilisation eingesetzt hat«. Zu nennen ist seine wohl berühmteste Rede vom Mai 1940, die den Widerstand gegen Hitler ankündigte und in der der viel zitierte Satz fiel: »Ich habe nichts zu bieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß«; aber auch seine Rede in Fulton 1946, in der er, wieder eine Politik der Stärke fordernd, als Erster die beginnende Konfrontation zwischen den bisherigen Verbündeten Stalin und den westlichen Demokratien beim Namen nannte und dabei das Wort vom »Eisernen Vorhang« zwischen Ost und West prägte. Churchills Reden sind von einer ganz anderen Qualität als etwa die seines Gegenspielers Hitler. Das gilt natürlich für die politisch-moralische Position, die Churchill repräsentiert, aber auch für die stilistische Qualität: Hat Hitler meist ohne Konzept gesprochen, so arbeitete Churchill seine Reden schriftlich aus und trug sie frei vor, sodass sie auch in schriftlicher Form von großer Brillanz sind. Churchill ist der einzige, der den Nobelpreis für das mündliche Wort bekommen hat, für eine Leistung also, die seiner politischen Tätigkeit zuzurechnen ist. Dies zeigt, dass nicht nur der Schriftsteller Churchill geehrt wurde, sondern ebenso der Sieger über Hitler und der Gegner Stalins. Bei der Preisverleihung selbst ließen sich Politiker- und Schriftstellerrolle allerdings nicht vereinbaren: Da Churchill (noch einmal Premier, 1951-55) anlässlich einer Konferenz zur Weltlage nach Stalins Tod auf den Bermudainseln weilte, konnte der Geehrte den Preis nicht selbst entgegennehmen, sondern musste sich von seiner Frau, Lady Clementine, vertreten lassen.
 
W. Vollmer

Universal-Lexikon. 2012.

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